Liebe Schwestern und Brüder!
Diese wunderbare Geschichte steht am Beginn der Karwoche. Das Volk auf der Straße jubelt Jesus zu und diese Frau überschreitet Grenzen. Sie wagt viel für eine Beziehung zu Jesus.
Unangemeldet kommt sie in ein Haus, in das sonst niemand geht: Das Haus eines Aussätzigen. Ansteckende Krankheit, Quarantäne – so viel fällt uns in diesen Wochen dazu ein. Sie geht rein und zerbricht eine unglaublich teure Flasche mit herrlich riechendem Öl und der ganze Raum ist voller Duft.
Sie lässt es sich viel kosten. Sie gibt der Liebe freien Raum. Sie salbt den Gesalbten – erst nach Ostern, am Ende dieser Woche wird erkennbar, dass sie wie eine vorausschauende Prophetin gehandelt hat. Und gleich melden sich die Kritiker zu Wort: Welche Verschwendung! Mit dem Blick eines Rechnungsprüfers lesen sie diesen zur Tat gewordenen Liebesbrief.
Jesus weist sie zurück: Sie hat ein gutes Werk an mir getan! –wenn ihr wirklich gute Werke tun wollt, dann nur zu – Arme und Bedürftige habt ihr jeden Tag um euch. Liebe ohne Wenn und aber. Ja, liebe Leserinnen und Leser, Liebe aus Gott und zu Gott wird Jesus am Karfreitag das Leben kosten. Sein Sterben ist das Zeichen von Gottes Liebe ohne Wenn und Aber. Und wo immer, wann immer, diese ganz und gar unverdiente Liebe Gottes zu uns Menschen zu Wort kommt, sichtbar wird, gefeiert wird, gegenwärtig ist, da wird man von dieser Frau erzählen.
Wo stehen Sie, auf welcher Seite stehen wir in dieser Geschichte? Immer wieder wird ja auch heute die Schönheit, der Schmuck unserer Kirchen weltweit kritisiert. Sollte man nicht schlichter bauen, bescheidener feiern? Erstaunlicherweise lässt Jesus die vermeintliche Alternative der Kritiker nicht gelten: Entweder Dienst an den Armen oder verschwenderischer Erweis der Liebe zu ihm mit kostbarem Öl. Nein, so Jesus. Durch diese festliche, angeblich verschwenderische Liebe zu ihm, wird den Armen nichts weggenommen. Arme, er sagt das im Haus eines wirklich armen Menschen, Arme habt ihr andauernd um euch herum. Gutes könnt ihr, wenn ihr denn wirklich wollt, jederzeit tun! Reißt nicht auseinander, was zusammen gehört. Die hingebende Liebe, die Feier der Liebe Gottes, macht den Glauben erst stark und ermöglicht so den Dienst am Nächsten. Die Liebe zu Jesus hier, die Verehrung Gottes in jedem Gottesdienst, hat ihr eigenes Recht. Der Grund und die Folgen des Glaubens müssen unterschieden werden.
„Der Strom setzt die Quelle voraus.“ So hat es einmal der Theologe Karl Barth auf den Punkt gebracht. Und wir? Tue ich Gutes an anderen Menschen, weil ich aus mir selbst heraus so ein toller Mensch bin? Oder kann ich lieben und Gutes tun, weil ich zuerst freigesprochen, gerufen und berufen bin? Alles hat seine Zeit. Bleiben wir immer in einem Zweck-Nutzen-Denken verhaftet, geht alles schief. Liebe will auch gefeiert, gesungen werden. Und dann schreitet sie zur Tat.
Pfarrer Jan-Christoph Borries